Montag, Februar 26, 2007

Voodoo display #11

Frankfurt, Sandweg.

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Freitag, Februar 23, 2007

Radio Stellario 696,99

Mit seinem Gebiss war Escher zufrieden. Hätte er seinen Körperteilen ein Zeugnis ausstellen sollen, wäre das Gebiss im Gegensatz zu einigen anderen Regionen mit einer glatten Eins nach Hause gegangen, denn es erfüllte die ihm übertragenen Aufgaben unter größter Einsatzbereitschaft, auch bei einem sehr hohen Arbeitsaufkommen und über die üblichen Dienstzeiten hinaus, jederzeit zu seiner vollsten Zufriedenheit.

Obwohl er seit seiner Kindheit auf keinem Zahnarztstuhl mehr gesessen hatte, beklagte sich Escher nicht über den Zustand seiner Zähne. Damals hatte ihm der Dentist ohne Betäubung eine Backenzahnfüllung eingesetzt, und wenn er daran zurückdachte, durchdrang die schmerzvolle Erinnerung jede Zelle im Einzugsbereich seines Kiefers. Akustisch ausgedrückt, hätte jener Schmerz wie das Quietschen von Kreide auf einer Schultafel geklungen. Oder wie das fünfgestrichene H, das sich als gebundener Ganzton mit den Dezibelwerten eines Düsenjets über mindestens dreißig Takte erstreckte, geschrieen von einem Kastraten.

Aber es war keine lächerliche Angst vor den Schmerzen einer Behandlung, die Escher von einem Zahnarztbesuch abhielt. Es war auch nicht die Erinnerung an den unangenehmen Geruch oder den Anblick absonderlicher Gerätschaften. Es war die Befürchtung, dass er seinen Empfänger verlieren könnte.

Eschers einzige Zahnfüllung hatte nämlich eine mediale Nebenwirkung. Seit jener Backenzahnbehandlung hörte er an manchen Tagen einen Radiosender, der weit außerhalb der gängigen Frequenzen ausgestrahlt wurde, und den man mit keinem Transistorgerät empfangen konnte. Als er die fremden Stimmen aus der Backenzahnfüllung zum ersten Mal hörte, erschrak der junge Escher so sehr, dass er es nicht wagte, irgendeiner anderen Person davon zu erzählen. Die Stimmen sprachen in Lauten, die er anfangs nicht verstand. Oft konnte er nachts nicht schlafen, weil er den Sender empfing und es keine Möglichkeit gab, die Stimmen abzuschalten. Technisch konnte er sich das Phänomen nur mit einem falschen Mischungsverhältnis des Amalgams erklären.

Da er den Ausstrahlungen während der Sendezeiten nicht entkommen konnte, beschäftigte sich Escher intuitiv mit einer Analyse der fremden Sprache. Er benötigte mehrere Jahre, bis er die Laute entschlüsselt und verstanden hatte, dass es sich um eine Sprache handelte, die nirgends auf der Erde gesprochen wurde.

Der Name der außerirdischen Rundfunkstation war Radio Stellario 696,99. Auch wenn er die Sprache des Senders verstand, hätte er keinen der fremden Laute selbst erzeugen können. Die menschlichen Stimmbänder erreichten diesen Teil des Spektrums nicht, der nur in der Welt von Eschers akustischer Vorstellung existierte. Und obwohl sich Escher die Grammatik und einen umfassenden Wortschatz angeeignet hatte, konnte er die Inhalte nicht in seiner Muttersprache formulieren. Die Botschaften waren nicht übersetzbar, denn sie hatten keine Gemeinsamkeiten mit den Strukturen menschlichen Denkens. Es waren Mitteilungen aus einer geistigen Parallelwelt, die jenseits jeder Logik und unabhängig von herkömmlichen Gedanken oder bekannten Gefühlen existierte. Radio Stellario 696,99 berichtete weder von Ereignissen, noch über Zustände. Escher hätte die Inhalte auf keine Kategorie menschlicher Sinne oder Beurteilungen übertragen können. Sie waren weder gut noch schlecht, weder laut, noch leise, weder heiß, noch kalt, weder süß, noch bitter. Wenn Radio Stellario 696,99 sendete, waren die Stimmen einfach nur da, sie verlangten seine Aufmerksamkeit und schraubten sich in Eschers Bewusstsein.

Während einer klirrenden Februarnacht mussten die Betreiber des Senders auf ihren terrestrischen Hörer aufmerksam geworden sein, denn sie sendeten eine Botschaft, die unmissverständlich an ihn gerichtet war. Auch wenn die Schmerzen in kürzeren Abständen auftraten, war der Backenzahnempfänger zu einem Teil von Escher geworden, auf den er nicht mehr verzichten wollte. Aber die von Radio Stellario 696,99 übermittelte Anordnung war in eindringlichster Deutlichkeit formuliert. Sie ließ keinen Widerspruch zu. Escher wusste, dass seine Welt sich ändern würde, als er die Anordnung befolgte und einen Termin beim Zahnarzt vereinbarte.

Mittwoch, Februar 21, 2007

Jenseits von Licht und Dunkelheit

Was sehen Gespenster, wenn sie Gespenster sehen? Und wovor fürchten sich Gespenster? Wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass unser Dasein nur eine kurze Atempause vor einem schlimmeren Zustand sein könnte.



Auf deiner letzten Forschungsreise findest du es heraus. Vor allen anderen, denn diese Expedition trittst du allein an. Deine Ausrüstung lässt du zurück, alle Werkzeuge deines Bewusstseins verlierst du unterwegs. Dein Verstand verlässt dich zuerst. Mit den Sinnen verschwinden die Gefühle, zuletzt geht der Schmerz.

Du bildest dir ein, dass du die Erinnerung an die Angst verloren hast, weil Milliarden Menschen diesen Weg vor dir gegangen sind. Aber die Unsicherheit nimmt ihre kalte Hand nicht von deiner Schulter, denn keiner von jenen, die das Ziel erreicht haben, konnte von dort berichten.

Montag, Februar 19, 2007

Die Blicke der Bilder

Hier hänge ich und sehe sie mir alle an. Keiner, der diesen Raum betritt, entgeht meinem Blick. Und sie sehen mich an. Neugierige Blicke. Wache Blicke. Gelehrte Blicke. Auch gelangweilte und schläfrige Blicke. Mein Blick ist immer derselbe, eine Mischung aus Güte und Verachtung. Schon immer verwechselten sie diesen Blick mit einem Lächeln.

Es erfordert höchste Konzentration, nicht aus dem Rahmen zu fallen und niemals zu blinzeln, solange sich Besucher im Raum befinden. Das gelingt mir nicht immer. Im Lauf der Jahrhunderte mussten einige Besucher an ihrem Verstand zweifeln. Inzwischen sind die Verstörungen seltener geworden, seit Beginn des technologischen Zeitalters erklären die Menschen ungewöhnliche Wahrnehmungen mit Übermittlungsfehlern ihrer Sinnesorgane. Ursachen des Außergewöhnlichen, die sie nicht sinnlich erfassen können, ziehen sie nicht in Betracht. Vor dem Hintergrund ihrer Bildung erscheint es ihnen unmöglich, dass sich Gestalten in einem Gemälde bewegen. Das gehört sich nicht, es ist physikalisch unmöglich.

Ich bin zwar im Bild gefangen, aber das bedeutet nicht, dass ich leblos bin. Und damit meine ich nicht die Lebendigkeit der Pinselstriche, die vor langer Zeit aufgetragen wurden, um die Leinwand in eine Abbildung künstlerischer Eindrücke zu verwandeln. Ich meine ein Leben außerhalb von Stoffwechselprozessen. Ein Leben, das allein innerhalb einer Idee existiert. Nicht allen Künstlern gelingt es, künstlichen Gegenständen eine Seele zu geben. Es gelingt nur denen, die bereit sind, sich für ihr Werk von einem Teil ihrer Seele zu trennen.

Oft erscheint es mir, als seien die Besucher des Museums starrer in den Bildern und Rahmen ihrer eigenen Persönlichkeit gefangen, als ich es bin. Ich kann es in ihren Blicken erkennen, denn sie begegnen mir mit einer absoluten Ehrlichkeit. Für viele ist der Museumsbesuch ein Teil ihres Alltags, eine Bildungsroutine.

Meistens halten wir uns an die gesellschaftlichen Konventionen. Aber ich weiß von anderen Bildbewohnern, dass sie der Versuchung in manchen Situationen nicht widerstehen können. Besonders, wenn Kinder uns ansehen, kann es passieren, dass wir Lebenszeichen von uns geben. Für uns besteht keine Gefahr, denn außergewöhnliche Berichte von Kindern werden schnell dem Reich der Phantasie zugeordnet.

Nachts, wenn uns die Überwachungskameras nicht mehr sehen, strecken und dehnen wir uns. In einer Frequenz jenseits der Messbarkeit flüstern wir miteinander und tauschen unsere Eindrücke von den Besuchern aus. Die meisten von uns kennen sich schon sehr lange und duzen sich.

- Hast du heute Vormittag den Kerl mit der Ohrenmütze und den rosa Socken gesehen?
- Meinst du den Alten, der nach Kamille roch und ununterbrochen mit sich selbst sprach?
- Ja. Er versuchte, mich anzuspucken. Sie mussten ihn zu dritt festhalten und aus dem Museum entfernen. Die Szene hatte einen enormen künstlerischen Wert.
- Ich gratuliere zur Entdeckung dieses Eindrucks. Wirst du ihn als Erinnerung in deine Sammlung aufnehmen? Oder hast du vor, ihn zu verkaufen?
- Mal sehen, wie sich der Markt entwickelt. Dieses Bild der Erinnerung könnte rasant an Wert gewinnen. Die Richtung der mutualen Installation ist momentan gefragt und wird sicher noch begehrter, wenn der Kerl mit der Ohrenmütze das Zeitliche segnet.

Einige Kunstwerke sind hervorragende Beobachter und verstehen es, ihre Eindrücke der Welt im Museum zu einem bedeutenden Werk zu formen. Andere sind große Sammler.

Samstag, Februar 17, 2007

Spiel, Spaß & Spannung

1. Spiel
Welche Sängerin wurde gerichtlich vom Vorwurf der Vergewaltigung ihres Mannes freigesprochen, da Vergewaltigung in der Ehe laut Gesetz nicht existierte?
[Zu gewinnen gibt es ein autodidaktisches Recherchetraining, das während Ihrer Suche nach der Lösung statt findet. Ein weiterer Preis besteht in der wertvollen Auflösung des Rätsels.]

2. Spaß & Spannung
Innerhalb einer Minute überlegen, welches die fünf besten Musikvideos aller Zeiten sind! Hier mein Ergebnis:

>> Unkle - Rabbit in your headlights
>> Fatboy Slim - Praise you
>> Motörhead - Ace of spades
>> Prodigy - Smack my bitch up
>> Queen - Bohemian Rhapsody

Freitag, Februar 16, 2007

Motto #7

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Mittwoch, Februar 14, 2007

Artgerechte Haltung


Seit zweiunddreißig Jahren sitze ich hinter dem Panzerglas und beobachte die Spiegelung meines Gesichts, das sich mit den Gesichtern der starrenden Besucher auf der anderen Seite der Scheibe überschneidet. Sie nennen uns Primaten. Im letzten Sommer haben sie ein Freigehege eingerichtet, aber die meiste Zeit verbringe ich unter der künstlichen Sonne des hellgrün gekachelten Raumes.

Obwohl es hier sehr sauber ist, und man sich nicht über die Nahrung beschweren kann, gibt es immer wieder Fluchtversuche. Sie springen in den Wassergraben und scheitern dann am elektrischen Draht. Andere rennen mit dem Kopf so lange gegen das Panzerglas, bis ihr Blut in hellroten Schlieren die Scheibe herunterrinnt. Wenn sie es überleben, bringt man sie weg. Bisher hat man keinen von ihnen wiedergesehen. Vielleicht sind sie jetzt in Freiheit. Aber trotz dieser vagen Möglichkeit bringe ich den Mut nicht auf, ihrem Beispiel zu folgen.

Manche flüchten in den Käfig der inneren Freiheit. Abwesend sitzen sie in einer Ecke und bewegen ihre Oberkörper in einem endlos gleichen Rhythmus vor und zurück, oder sie gehen an der Scheibe auf und ab. In ihren Augen spiegelt sich keine Reaktion auf die Umgebung mehr.

Meinen hohen Rang innerhalb des Rudels habe ich ohne den Einsatz von Gewalt erreicht. Das ist ungewöhnlich, denn Gewalt ist unter den Rudelmitgliedern beiderlei Geschlechts an der Tagesordnung. Aber die anderen respektieren mich aufgrund meines Alters. Und weil ich Ihnen über das Leben in Freiheit berichten kann, das ich vor langer Zeit erfahren habe. Ich kann mich zwar selbst nur noch dunkel daran erinnern, aber wenn sie mich abends danach fragen, male ich das Bild von der Freiheit in den buntesten Farben. Sie brauchen mich, denn ich vermittle ihnen diese Hoffnung, die sie am Leben hält. Und ich glaube, die Wärter ahnen es.


Noch nie drang eine Nachricht unserer Artgenossen von draußen zu uns. Es ist möglich, dass meine Art in ihrer natürlichen Umgebung bereits ausgestorben ist, denn sie haben uns immer weiter verdrängt, um die Welt für ihre Zwecke zu nutzen. Es soll auch kritische Stimmen in ihren Reihen geben, aber die Mehrheit scheint mit dem Konzept dieses Zoos einverstanden zu sein. Es ist die einzige Möglichkeit, ihren Kindern lebende Tiere wie mich zu zeigen.


Sie haben unsere Lebensweise in sämtlichen Details erforscht. Nie werde ich mich an die Blicke gewöhnen, an ihre Facettenaugen und an die langen Fühler. Am schlimmsten sind die Schneidewerkzeuge an ihren vorderen Gliedmaßen.
Wenigstens stehe ich nicht auf ihrer Speisekarte. Ich glaube, sie fressen sich gegenseitig. Man sollte es ihnen hoch anrechnen, dass sie uns im Sinne der Artenerhaltung diesen Lebensraum geschaffen haben. Vielleicht bekommen wir irgendwann nochmal eine Chance.

Montag, Februar 12, 2007

Voodoo display #10



Im Schlager Herz ist Trumpf bekannte Herr Remmler 1983: Ich schau mir gerne Schaufenster von Möbelläden an. Wenn es um das Thema Wohnen geht, misst die Mehrheit der Bevölkerung Einrichtungsgegenständen eine enorme Bedeutung bei. Und das Mobiliar scheint dabei die zentrale Rolle zu spielen.

Für mich ist Wohnraumgestaltung ein ebenso weites wie exotisches Feld, nicht nur im Hinblick auf die entsprechende Ausstattung bin ich Minimalist, sondern auch wenn es darum geht, sich darüber Gedanken zu machen. Wenn jedoch die obskuren Schaufenster eines Lampenladens nach Aufmerksamkeit flüstern, kann ich nicht daran vorbei gehen, ohne meinen Blick erhellen zu lassen. Dabei ist mir vor allem die Ausleuchtung des Oberstübchens ein dringendes Anliegen.

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Samstag, Februar 10, 2007

Mustertapetenpartituren

Dienstag. An seinen Namen oder die anderen Lebensdaten erinnerte er sich nicht mehr. Nur an die Bezeichnung für den Wochentag, an dem er vor einem halben Leben in Pantoffeln auf die Straße getreten war und die Mauern eines gleichförmigen Alltags hinter sich gelassen hatte. Seither hatte er sich nie wieder umgedreht. Er war dem taumelnden Schatten seiner Seele gefolgt, der vor ihm herflog und beliebige Richtungen einschlug.

Die Umrisse des Schattens waren aus Musik gezeichnet, und immer, wenn es ihm gelang, den Schatten einzuholen, vernahm er verschwommene Klänge an den Grenzen seiner Wahrnehmung. Er versuchte, die Klänge festzuhalten, indem er eine eigene Notation entwickelte. Seine Partituren schrieb er auf zerknitterte Zettel, die er zuvor aus Mülltonnen gefischt hatte. Im Lauf der Jahrzehnte wucherten die Partituren zu Paketen, die er bündelte und in einem Einkaufswagen archivierte.

Er hätte nicht sagen können, aus welchem Grund er seine Musik notierte, aber diese Frage stellte sich ihm nicht. Den Kontakt zu den Außenwelten hatte er längst verloren. Vielleicht vermittelte es ihm die Illusion einer Orientierung, wenn er während seiner Irrfahrt die Geisteslandschaften kartografierte, die seine Wahrnehmung auf die Innenflächen der Hülle aus Fleisch projizierte. Vielleicht war er dem menschlichen Zwang unterworfen, Spuren zu hinterlassen.

Es gab keinen Halt auf der Reise quer durch die Partitur seines Lebens. Nur manchmal wunderte er sich über die scheinbar kleinen Dinge. Er wunderte sich darüber, dass ein Mensch in der Lage war, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und auf diese Weise Entfernungen überwinden konnte. Und er wunderte sich darüber, dass die Hände seinem Willen folgten, ohne dass er Befehle erteilen musste. Oder dass sein Herz auch schlug, während er schlief.

Bevor sich sein Bewusstsein zusammen mit den Körperfunktionen in die Vergangenheitsform entzog, war sein letzter Gedanke: Dienstag.

Niemand interessierte sich für den Nachlass, als man den unbekannten Komponisten unter einer Eisenbahnbrücke fand. Nachdem der Leichnam längst eingeäschert war und man die Urne in einem anonymen Grab bestattet hatte, entdeckte ein Ingenieur der Hirnhydraulik den Einkaufswagen. Die Muster auf den Zetteln gefielen ihm. Er nahm die Papiere mit sich, um die Wände seiner Wohnung damit zu tapezieren.

Viele Generationen später kratzte ein kleiner Junge aus Wut und Trauer über das Verschwinden des Vaters an der Tapete in seinem Zimmer. Unter den Schichten, die frühere Bewohner aus Bequemlichkeit überklebt hatten, entdeckte er ein vertrautes Muster. Immer größere Fetzen riss er von den Wänden, bis das Muster vollständig freigelegt war. Dann öffnete er seinen Geigenkoffer. Er wusste genau, wie die Hauptstimme der Partitur zu spielen war, und während dieser Uraufführung eines Lebenswerks erfuhr der Junge zum ersten Mal die vollkommene Leere, denn sein Leben lag nicht mehr vor ihm. Er konnte die Zukunft sehen.

Montag, Februar 05, 2007

< Tod >Leben< /Tod >

Seine Programmierer waren echte Engel, aber nachdem auch die Begabtesten unter ihnen den Fehler im Quelltext nicht finden konnten, befasste sich der Projektleiter persönlich mit dem Problem. Es kam ihm vor, als hätte er das kleine Programm erst vor kurzem geschrieben, und dabei gehörte es zu den ersten Unterhaltungsprodukten aus seinem Labor. Damals war es nur als Fingerübung gedacht, bevor er sich an größere Ideen wagen wollte.

Die Software erreichte am Markt keinen nennenswerten Bekanntheitsgrad und geriet auch innerhalb des Unternehmens schnell in Vergessenheit. Genau genommen hatte er ein einziges Exemplar als Betaversion in Umlauf gebracht. Qualitätsmanagement spielte zu jener Zeit noch eine untergeordnete Rolle, aber der Kunde schien zufrieden zu sein und erkundigte sich nie nach einer höheren Programmversion. Nun hatte die Revisionsabteilung im Rahmen einer Inventur Unregelmäßigkeiten festgestellt, denn die Software tauchte in keiner Abschreibung auf.

Dieses formale Problem war durch eine kreative Überarbeitung der Bücher zu korrigieren und interessierte ihn daher nicht sonderlich. Vielmehr konnte er nicht begreifen, wie sich der Fehler in das Programm eingeschlichen hatte. War er damals tatsächlich so nachlässig gewesen?

Während er vor dem Quellcode saß und über Lösungsmöglichkeiten brütete, erinnerte er sich wieder an den Kunden, der sich damals für das Produkt interessiert hatte. Es war ein Wesen mit zwei hornigen Ausstülpungen an den Schläfen, Pferdefüßen und einem unbehaarten Schweif. Beim Gedanken an die Erscheinung stieg ihm ein Geruch von Schwefel in die Nase. Dieser Geruch durchdrang ihn und setzte ein vollständiges Bild des Vorgangs in seiner Erinnerung frei. Er selbst hatte den Kunden programmiert, um seine erste Erschaffung einer Welt mit jemand teilen zu können.

Aus ähnlichen Gründen hatte er später alle weiteren Engel programmiert. Diese Programmroutinen hatten ihm so gut gefallen, dass er sie auch in andere Software implementierte. Immer, wenn ihm seine Einzigartigkeit und die daraus resultierende Einsamkeit in voller Größe bewusst wurde, schuf er ein neues Programm. Und irgendwann war sein erster Prototyp, den er damals unter dem Arbeitstitel Welt entwickelt hatte, in Vergessenheit geraten.

Er verspürte keine Empfindung, als er die Klammer um den letzten Formatierungsbefehl setzte und das System anschließend herunterfuhr. Aber noch war alles gespeichert.

Samstag, Februar 03, 2007

Waschzettel zur Hirnhygiene

Zur Belüftung Ihres Gehirns öffnen Sie Ihre Ohren und Augen. Es wird empfohlen, mit diesem Vorgang außerhalb einer Gedankenwindstille zu beginnen. Halten Sie Ihren Mund geschlossen, das Öffnen des Mundes ist dem Ziel der Hirnhygiene nur in den seltensten Fällen zuträglich.

Bei hinreichender Gedankenwindgeschwindigkeit werden Sie schon nach kurzer Zeit erste Erfolge verzeichnen. Ungenutzte Gedanken werden vom Staub befreit, und der muffige Geruch abgelegter Überlegungen verschwindet. Bei dieser Gelegenheit können Sie auch die Mottenkugeln wechseln.

Sollten Sie in einer Schublade zerlöcherte Gedankenstoffe entdecken, zögern Sie nicht, diese in einen Altgedankensack zu stopfen und bei einer entsprechenden Sammelstelle abzugeben. Nur weil ein Gedanke aus der Mode gekommen ist, müssen Sie ihn jedoch nicht gleich wegwerfen. Tragen Sie unmodische Gedanken gelegentlich entgegen aktuellen Trends, selbst wenn Sie dabei Ihren Ruf aufs Spiel setzen und man Ihnen Stilbrüche unterstellt.

Auch abgenutzte Gedanken, die bereits so oft getragen wurden, dass sie bei genauer Betrachtung dünn und brüchig erscheinen, müssen nicht ausnahmslos entsorgt werden. In manchen Fällen kann man die alten Fetzen flicken oder miteinander kombinieren und zu neuen Gedankengewändern vernähen.

Neben der Belüftung, Sortierung und Ausbesserung gehört auch eine gründliche und regelmäßige Reinigung der Gedanken zur Hirnhygiene. Waschen Sie Ihr Gehirn stets bei Höchsttemperatur, aber verzichten Sie auf den Schleudergang. Manche Teile mögen sich zwar verfärben, ausdehnen oder eingehen, aber in diesen Fällen birgt das Risiko gleichzeitig die Chance einer neuen Konfektionierung. Sollten Ihnen einige Gedanken nach dem Waschgang nicht mehr passen oder stehen, bewahren Sie die bunten und die ausgedehnten - Ihr Geist wird hineinwachsen.