Dienstag, Juni 26, 2007

Wörterweitwurfweltmeisterschaft

Die internationale Elite des Wörterweitwurfs hat sich im größten Buchstabenstadion der Welt versammelt. Spitzensportler aus exotischen Ländern wie Österreich, Oregon und 0stfriesland sind angereist, um den Weltmeister im Wörterweitwurf zu ermitteln. Heute soll bei idealem Wortwetter geerntet werden, was in jahrelangen Trainingslagern mühsam gesät, gepflanzt, gekreuzt, gezüchtet und gepflegt wurde.

Einige Teilnehmer wählten ungewöhnliche Wege und Transportmittel für ihre Anreise. >MoniqueChantalHuber kam zusammen mit ihrer Trainerin, der russischen Schwergewichtskugelstoßerin Ludmilla Panzarova, durch den Äther geflattert. Und der reiseerprobte >Texttourist ist spektakulär auf dem Rücken einer Interkontinentalrakete ins Stadion geritten, die Detonation des nuklearen Sprengkopfes wusste er durch geschickte Handhabung von Zügeln, Peitsche und Sporen zu verhindern. Eindrucksvoll hat er im Moment des Aufschlags die friedliche Nutzung einer Massenvernichtungswaffe demonstriert. Mit einer ebenso gewaltfreien und nicht weniger Aufsehen erregenden Arschbombe landete >Tillmister in der Mitte des Stadionbeckens. Der Inhalt des Buchstabenpools spritzte bis in den Himmel.

Ein Milliardenpublikum aus der ganzen Welt hat sich im Buchstabenstadion versammelt, die Arena ist restlos ausverkauft. Begeisterte Menschenmassen soweit das Auge reicht. Die Anhänger des Wörterweitwurfs stimmten schon Stunden vor Wettkampfbeginn Sprechchöre und Stadiongesänge für ihre Athleten an.

Das internationale Wettkampfregelwerk des Wörterweitwurfs schreibt vor, dass alle Teilnehmer gleichzeitig an den Start gehen und ihre Sportgeräte auf ein Augenzwinkern des Schiedsrichters hin von sich schleudern.

In diesem Jahr wird das Amt der Unparteiischen von einer Dame wahrgenommen, die sich fairer Weise aufgrund des Vrdachts widerholtn illgaln Buchstabnsuppndopings selbst vom Wettkampf ausgeschlossen hatte. Daher genießt der Name >Frech’n’Nett in Schiedsrichterkreisen einen ausreichend zwielichtigen Ruf, um sie als Signalgeberin zu einem Augenzwinkern zu nötigen.

Mit der Startnummer 2 steht >Mkh auf dem Feld, sein Sportgerät umrundete bereits während des Trainings mehrfach das Universum, aber rechtzeitig zum Start gelang es dem Profiwerfer, das Wort leicht wieder einzufangen.

Die Spannung im Stadion steigt. Sprechchöre und Schlachtgesänge sind verklungen, man könnte ein Hilfsverb fallen hören. Die weltweite Konzentration der Menschen zuhause vor den Bildschirmen ist auf die buchstabensuppengedopte Unparteiische gerichtet. Und plötzlich zwinkert sie mit den Augen. Die Athleten nehmen gleichzeitig Anlauf und werfen ihre Wörter bravourös in die Welt. Kein einziger Fehlstart!

Wie erwartet segelt Mkhs Wort leicht schwerelos durch die Lüfte. >Rabe mit der Startnummer 3 ging mit erbosen und einem verschlagenen Lächeln im Schnabelwinkel an den Start. Die anderen Sportgeräte halten einen respektvollen Abstand zu erbosen.

Auch der Zweifel des Texttourists scheint zunächst über alles erhaben, wird aber schnell von Frau >Wort-Wahls [ze:nzuxt] mittels einer raffiniert gezackten Flugbahn eingeholt. Dieses Flugverhalten ist nur mittels Meditation bei gleichzeitiger Ekstase zu erzeugen, beides typische Merkmale von [ze:nzuxt].

MoniqueChantalHubers Feinstaub diffundiert elegant in den anderen Wörtern und ebnet die Lüfte für den Pfitschipfeil, den die Wortsportlerin für Österreich abschoss. Der Pfitschipfeil besitzt eine hervorragende Nomendynamik und zischt gefährlich an der scharfen Kante eines Absatzes vorbei.

>Phil trägt die Nummer 7 auf dem Trickot und wirft Gammelsprech. Trotz des geringen Gewichts wirkt das Wort schwerfällig, nimmt aber überraschend schnell Geschwindigkeit auf. Ralf Wolfstädters Kenning Brauenmond scheint zunächst Gammelsprech zu behindern, aber nur wenige Wörter reagieren auf Störungen so gelassen wie Gammelsprech.

Nach einem dunklen Raunen geht ein Aufschrei der Begeisterung durchs Publikum, als man deutlich erkennen kann, dass Ralf Wolfststädter an seine Kenning einen Lustmord geknüpft hat - welch umwerfende Strategie! Diesen Lustmord wird man so schnell in der Geschichte des Wörterweitwurfs nicht vergessen, denn es gibt zwar einen Täter, aber kein Opfer.

>Daniel Subreal hatte sich gründlich auf alle Wortwetterbedingungen vorbereitet. Nachdem er sich mit PENG PENG PENG den Weg durch die Dopingkontrollen freigeschossen hatte, nahm er zuerst Ratattatatui aus dem Waffenetui, entschied sich dann aber aufgrund der idealen Wortwindverhältnisse doch für Ruckizuckischnippschnapp. Erwartungsgemäß ruckt, zuckt, schnippst und schnappt das Wort quirlig zwischen den anderen Wörtern.

Keiner im Stadion hätte damit gerechnet, dass sich ein sperriges Wort wie Leberknödelsuppentellerrandverzierungsinstrumentenmachermeisterwerkstätte auch nur über eine einzige Zeile werfen ließe. Souverän beweist >dieJulia mittels einer gelehrten und gleichzeitig handwerklich fundierten Wurftechnik, dass es nicht allein aufs Wort, sondern vor allem auch auf einen gelungenen Einsatz ankommt. Die Leberknödelsuppentellerrandverzierungsinstrumentenmachermeisterwerkstätte rotiert wie ein Bumerang um die eigene Wortmitte, die genau auf einem g liegt.

Überhaupt vermitteln die versammelten Wortwurfvirtuosen den Eindruck, als könne man jedes Wort gezielt abschießen - unabhängig davon, aus welchen bizarren Buchstabensümpfen es geborgen wurde. Das unterscheidet diese Athleten von Amateuren, die Wörter ungeschickt fallen lassen oder wahllos damit um sich werfen.

In mathematischer Manier wählte >Stard die Eins als Wurfgeschoss. Ob als Ziffer oder Wort, die E1ns liegt hervorragend in der Hand. Und elanvoll geworfen, zeigt sie ein Flugverhalten, das an Ästhetik schwer zu überbieten ist.

Aber Ästhetik ist eine Frage der Wortanschauung, und so entbehrt auch die Verwendungsnachweisprüfung des >Amtsrats nicht der spröden Schönheit von antiquiertem Durchschlagpapier oder bequem gepolsterten Stempelkissen. Aus derselben Kategorie bediente sich >Herr Mörlin von der Nochnichtburg, dessen Dienstanweisungsentbindungszusage in dreifacher Kopie verwirrend durch den Wortraum flattert. Versehentliche Fänger solcher Wörter stehen vor einer besonders schwierigen Aufgabe.

>Frau H. wirft das allumfassende Worldwideword in die Wortsphäre. Wie ein filigraner Gigant spiegelt sich das Worldwideword in den Netzhäuten des staunenden Publikums, es schwebt über jedem Sinn und umarmt die Konkurrenz.

Mit der Arschbombenlandung hatte Tillmister sein Gesäß vorgeglüht und auf Touren gebracht, so dass er jetzt wie eine Kanonenkugel aus dem Startblock zischt und nach technisch einwandfreiem Anlauf einen frischen Fisch von vorgestern als geflügeltes Fischwort aus der Überlegung flutschen lässt.

Von fliegenden Fischen hat man schon gehört, aber fliegende Ratten? >Frau Vivaldi macht es möglich. Ihre dressierte Beutelratte legt beim Start brav die Beine an und navigiert mit ihren Barthaaren durch die Wortgeschichte. Der Beutel bleibt zugeklappt und dient nur im Notfall als Fallschirm zur literarischen Landung.

Bei der ultimativen Wörterweitwurfweltmeisterschaft darf man sich sprachlich einiges erlauben. Jenjamin nutzte die Gelegenheit und ging mit einem weiteren Ultimatum an den Start. Trotz der drohenden Endgültigkeit und seinem Bedürfnis, sich bei jeder günstigen Gelegenheit zu setzen, lässt sich das Ultimatum gerne verwerfen.

Während sich aus Südfriesland beim diesjährigen Wettbewerb keine Teilnehmer qualifizieren konnten, schickte Ostfriesland gleich zwei Expats ins Rennen. >Ole lebt seit drei Jahren in Absurdistan, und >Lars ist Amilander. Nicht nur die Gehirne klappern, als Ole ausholt und sein brägenklöterig aus voller Kehle dem Publikum entgegen schmettert.

Die anwesenden Wortreporter können es nur vermuten, aber wahrscheinlich hat Lars seinen Woordenkluver vom Vorschiff eines Seglers abmontiert. Es könnte sich um den Fliegenden Holländer gehandelt haben, denn der Woordenkluver liegt selbst bei Wortstärke acht noch stabil wie Stards Eins im Buchstabenwind, lässig begleitet von Oles brägenklöterig.

Nicht etwa eine transzendentale Hansekogge schickt >Steini auf die Reise, sondern eine Familie Gonokokken. Sie reisen angeschnallt im Gonokokkenluftschiff und sind bester Laune. Die hungrigen Gonokokkenkinder nörgeln auf dem Rücksitz und die Gonokokkenmama muss an jeder Raststätte auf die Toilette. So ist das, wenn Gonokokken reisen.

Mit sumptuöser Energie beteiligt sich >Eon an der Wörterweitwurfweltmeisterschaft. Sein Ü B E R S C H A L L durchbricht mehrere Mauern und konkurriert in akustischer Hinsicht mit >Andie Kannes Urknall. Gemeinsam erzeugen sie ein unbändiges Getöse, einige Zuschauer auf den Rängen stopfen sich Zuckerwatte in die Ohren.

>Mudshark schleppte einen Amboss in die Arena, und gegen alle Gesetze der Schwerkraft hebt selbst dieses massive Wort nach dem Augenzwinkern ab und entgleitet durch die Welt der Bedeutungen und Vorstellungen.

Erschöpft liegen die Wortathleten am Rand der Aschenbahn und schauen ihren Wörtern hinterher. Manche nehmen noch eine Hirnmassage in Anspruch, und dann feiern alle gemeinsam mit dem Publikum, das längst über die Absperrungen geklettert ist. Für das Siegertreppchen interessiert sich keiner mehr, umso höher stehen die geistigen Erfrischungsgetränke im Kurs.

Schon kurz nach dem Start war allen klar, dass keines der geworfenen Wörter jemals wieder landen würde. Den Wörtern gefällt es viel zu gut in der Schwerelosigkeit der Phantasie, dem besten Ort für Wortsport.

Dienstag, Juni 19, 2007

Leserbefragung: Wörterweitwurf

Mit welchem Wort würden Sie in der Wettkampfdisziplin des Wörterweitwurfs antreten, um das Siegertreppchen zu erstürmen?

Samstag, Juni 16, 2007

Für Türsteher kein Zutritt

Escher gesellte sich ans Ende der Warteschlange, während andere den Klub E verließen und das nächtliche Publikum nacheinander Einlass fand. Jedes Mal, wenn die Stahltür geöffnet wurde, krochen dumpfe Rhythmen aus dem Unterleib des Gebäudes in Eschers Gehörgänge.

Die Gäste, die der Musik nach draußen folgten, schienen von der Schwärze der Nacht geblendet. Sie hatten sich mit Schweißperlen geschmückt, die an ihren Schläfen glitzerten. Melodien geistiger Getränke oszillierten in ihrem Blut, und in einer unstillbaren Gier nach der übernächsten Erfahrung stritten sie sich um Taxis.

Der Monolith im schwarzen Anzug schien neben der Stahltür verankert. Er kam Escher bekannt vor. Die Lässigkeit des Türstehers grenzte an der berufsüblichen Arroganz. Mit hochgezogenen Augenbrauen entschied er, welche Personen den Klub E betreten durften. Manche der Abgewiesenen wollten sich seinem. Urteil nicht beugen. Aber der Monolith ließ sich durch nichts bewegen. Es halfen kein Charme und keine Drohungen. Irgendwann gaben die Abgewiesenen ihre Bemühungen auf und verließen den Ort fluchend oder mit enttäuschten Gesichtern. Die Entscheidungen des Türstehers schienen keinem System zu folgen.

Je näher Escher in Richtung der Stahltür vorrückte, desto vertrauter erschienen ihm die Gesichtszüge des Mannes im schwarzen Anzug. Als er schließlich vor ihm stand, war sich Escher sicher, dass er keine Probleme mit dem Einlass haben würde. Denn der Aufpasser am Eingang zum Klub E war er selbst.

Er blickte sich mutig in die Augen, doch sein Ebenbild verzog keine Mine. Als sich die Stahltür öffnete und Escher an der Reihe gewesen wäre, den Klub E zu betreten, stellte sich ihm Escher, der Türsteher, in den Weg.

- Nur für Stammgäste.
Escher traute seinen Ohren nicht. Der Türsteher konnte nicht ihn, Escher, also sich selbst, meinen.
- Bitte lassen Sie mich hinein, ich bin Stammgast.
- Geschlossene Gesellschaft.
- Und ich bin der Gastgeber!
- Ihre Garderobe ist unpassend.
- Was erlauben Sie sich! Ich bin der Inhaber des Klub E, mein Herr!
- Bitte blockieren Sie nicht den Weg für unsere Gäste.

Escher wurde wütend. Er hielt dem Türsteher seine geballte Faust unter die Nase.
- Sie aufgeblasener Popanz. Gehen Sie mir sofort aus dem Weg.
- Machen Sie keinen Ärger, Sie würden es bereuen.
Plötzlich sah der Türsteher gefährlich aus. Escher wich vor sich selbst zurück.

Obwohl er einer der besten in seiner Branche war, würde Escher den Türsteher entlassen. Er müsste einen anderen finden, der den Eingang zur Vergangenheit seiner Erinnerungen und zur Zukunft seiner Erfahrungen weniger gewissenhaft bewachen würde.

Mit hochgezogenen Augenbrauen entfernte sich Escher in stillere Straßen der Nacht. Die Faust in seiner Tasche war noch immer geballt.

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Mittwoch, Juni 13, 2007

Ich



Wer wissen möchte, wie man sich als Denkmahl fühlt, begebe sich auf die Sachsenhäuser Mainseite. Dort befindet sich, etwa hundert Meter von der Frankfurter Gerbermühle entfernt, ein Sockel zur persönlichen Erhebung.

Das Ich kann hier über drei Stufen erklommen werden. Selten wird es einem so einfach gemacht.


Diese Idee stammt von Hans Traxler, der auf einer Schautafel zitiert wird: "Jeder Mensch ist einzigartig. Das gilt natürlich auch für alle Tiere."

Montag, Juni 11, 2007

Denkmal für die Namenlosen

Es wird Zeit, dass man jenem Mensch ein Denkmal setzt. Außer den wenigen Personen in seinem Umfeld hat ihn niemand gekannt. Und es ist lange her, dass man den Letzten, der sich an seinen Namen erinnert hätte, zu Grabe trug.

Vielleicht war jener Mensch ein Erfinder. Oder ein Künstler, Musiker oder Schriftsteller. Jedenfalls gab es eine Beschäftigung, der er sich mit einem außergewöhnlichen Talent und grenzenloser Leidenschaft widmete. Aber keiner hat jemals davon erfahren, denn er schuf sein Werk im Verborgenen.

Unauffällig verdiente er seinen Lebensunterhalt. Vielleicht war jener Mensch ein Handwerker. Oder ein Matrose, Hilfsarbeiter oder Lehrer. Die Zeit, die ihm außerhalb der Arbeit blieb, widmete er keinen alltäglichen Beschäftigungen, sondern der Erweiterung seines Werks. Vielleicht musste, konnte, oder wollte er keinem Gelderwerb nachgehen und beschäftigte sich ausschließlich mit seiner inneren Berufung.

Vielleicht starb jener Mensch in einem Krieg. Oder bei einem Unfall, an den Folgen einer Krankheit oder am Hunger.

Am Ende hatte er etwas Großes geschaffen, aber was mit seinem Nachlass geschehen sollte, hat ihn nie gekümmert. Sein Lebenswerk ging für alle Zeiten verloren. Vielleicht verbrannte es. Oder es versank auf dem Grund eines Meeres, einer Müllkippe oder unter Trümmern.

Er war nicht der einzige Mensch mit einem bedeutenden Werk, das unbekannt bleiben sollte. Es gab Zahllose von ihnen, und mit ihrem Verschwinden gingen auch ihre Namen und die Inhalte ihrer Leben verloren.

Samstag, Juni 09, 2007

Motto #15

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Donnerstag, Juni 07, 2007

Audienz beim Wettergott

- Der Chef erwartet Sie jetzt,
meinte der Vorstandsassistent zu dem Besucher im grauen Anzug, der mit einer Aktentasche auf seinem Schoß im Empfangszimmer saß.

Das Büro war geräumig. In einer Ecke hagelte es taubeneigroße Eiskörner, in einem anderen Winkel waberte Bodennebel. Der Wettergott thronte hinter seinem Schreibtisch aus Schäfchenwolken und starrte auf den Bildschirm eines Notebooks, wo Niederschlagsdiagramme flimmerten. Über ihm schien die Sonne, und ein Regenbogen fiel durch die Luftkuppel des Raumes.

- Guten Tag, mein Name ist Schmitz. Ich hatte um diesen Termin gebeten, weil ich mit Ihnen über das Wetter reden wollte.
- Das dachte ich mir, alle wollen ständig über das Wetter reden,
erwiderte der Wettergott und verzog dabei verächtlich einen Mundwinkel, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden.
- In letzter Zeit scheint Ihre Wetterproduktion auf Hochtouren zu laufen. Wenn man sich die Statistiken ansieht, könnte man fast von einer Überproduktion sprechen.
- Die Geschäfte laufen nicht schlecht, unsere diesjährige Wetterabsatzbilanz ist sehr erfreulich. Von Überproduktion kann keine Rede sein, der Bedarf ist groß.

Ein misstrauischer Zug schlich sich in den Mundwinkel des Wettergottes. Er wurde ungeduldig.


- Sie wurden als Mitglied der Wetteraufsichtsbehörde angekündigt. Was ist Ihr Anliegen?
- Innerhalb unserer Behörde bin ich Mitglied im kürzlich gegründeten Sonderausschuss für gewerbesteuerliche Angelegenheiten. Wir arbeiten eng mit den Kollegen im Finanzpantheon zusammen.

Man hatte ihm an diesem Tag schon einige schlechte Nachrichten über unpassend geschneiderte Windhosen und falsch ausgelieferte Orkane übermittelt, aber bei Erwähnung des Begriffs gewerbesteuerliche Angelegenheiten kippte die Laune des Wettergottes vollständig in den regnerischen Bereich.

- Bei der nächsten Göttervollversammung werden wir ein Konzept zur Anpassung der Regentropfensteuer vorlegen. Der Wettergott stöhnte, was sich als entferntes Donnergrollen bemerkbar machte.
- Aber Sie haben doch erst in der letzten Legislaturperiode Steuererhöhungen durchgesetzt! Wollen Sie mich ruinieren?
- Das betraf nur die Nebelschwadensteuer und die Kugelblitzsteuer. Aufgrund Ihrer derzeitigen Monopolstellung können Sie sich nicht beklagen. Aber ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst das Kartellrecht zu Ihren Ungunsten geändert würde. Eigentlich eine längst fällige Maßnahme. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Der Wettergott erschien plötzlich sehr klein hinter seinem Schreibtisch. Aber nachdem der Beamte gegangen war, wich die Niedergeschlagenheit in seinem Gesicht einem bösartigen Lächeln. Die Sonnenstrahlsteuer. Sie haben die Sonnenstrahlsteuer nicht berücksichtigt.

Die Belastung durch die höhere Regentropfensteuer würde er sowieso mittels der Preisgestaltung auf den Endverbraucher übertragen. Aber vor allem würde es wärmer werden auf der Erde. Dass sich die Kunden daran gewöhnen würden, hing nur von einer gezielten Marketingkampagne ab.

Und um die Monopolstellung seines Konzerns machte er sich keine Sorgen. Sie brauchten ihn. Er war der Wettergott.

Sonntag, Juni 03, 2007

S-21

Die menschliche Kreativität kennt keine Grenzen, wenn es um das Ersinnen von Grausamkeiten geht. Beim Übergang vom Tier zur Lebensform Mensch gehörte der bewusste Einsatz von Qual und Folter vermutlich zu einer der ersten kulturellen Errungenschaften.



Wenn man Folter ausschließlich unter dem Aspekt eines Instruments zur Informationsgewinnung betrachtet, wird man dem Phänomen nur teilweise gerecht. Ähnlich wie die Katze mit ihrer Beute spielt, bevor sie den tödlichen Genickbiss ausführt, scheint auch der Mensch in der gezielten Anwendung von Grausamkeit einen Unterhaltungswert zu erkennen.





















Wenn vom dunklen Mittelalter die Rede ist, denkt man nicht nur an Kriege und Pestepidemien, sondern auch an Streckbänke, Daumenschrauben und Gefäße, in die man ausgehungerte Ratten setzte, um sie anschließend auf den Bauch eines Folteropfers zu binden.


Das dunkle Mittelalter liegt scheinbar in weiter Ferne, aber in der Welt ist es seither nicht überall heller geworden. Im Gegenteil, seit Entdeckung der Elektrizität verdunkelte sich das Grauen in den Folterkammern.

An manchen Orten hat sich die Grausamkeit in einem Maß verdichtet, das für Außenstehende auf keiner Ebene des Verstehens erfassbar ist. In Stutthof und Dachau stand ich nicht nur dem Stacheldraht und den Folterkammern hilflos gegenüber, sondern auch den Grenzen meines Verstandes und den Kammern meiner Gefühle.



In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh suchte ich das Foltergefängnis S-21 (Tuol Sleng) auf, in dem unter Pol Pots Terrorherrschaft vor rund 30 Jahren mindestens 14.000 Insassen zu Tode gefoltert wurden. Von sämtlichen Häftlingen überlebten nur sieben ihre Gefangenschaft im S-21.



Folgende Regeln wurden den Gefangenen eingebläut:
1. Du musst meinen Fragen entsprechend antworten ohne auszuweichen.
2. Versuche nicht, durch irgendwelche Vorwände Tatsachen zu verschleiern. Es ist dir streng verboten, mir zu widersprechen.
3. Sei kein Narr, der es wagt, sich der Revolution in den Weg zu stellen.
4. Du musst auf meine Fragen sofort antworten, ohne Zeit mit Nachdenken zu verschwenden.
5. Erzähle mir nichts über deine Unsittlichkeit oder über das Wesen der Revolution.
6. Während du Peitschenhiebe oder Stromstöße bekommst, darfst du nicht schreien.
7. Tue nichts, sitze ruhig, und warte auf meine Anweisungen. Wenn ich dich auffordere, etwas zu tun, musst du es sofort und ohne Protest tun.
8. Erfinde keine Vorwände über Kampuchea Krom (Anm.: indigene Khmer Minderheit in Südvietnam), um dein Geheimnis oder Verräter zu schützen.
9. Wenn du sämtliche, oben genannten Regeln nicht befolgst, bekommst du viele, viele Stromschläge.
10. Wenn du eine der Vorschriften missachtest, bekommst du entweder zehn Peitschenhiebe oder fünf Stromschläge.

Der Text beruht auf einer schlechten Übersetzung aus dem Khmer ins Englische; falls ein Mitglied der geschätzten Leserschaft über Kenntnisse des Khmer verfügt, bitte ich um Verbesserungsvorschläge zur Übersetzung des >>Originaltexts.

Vielleicht aufgrund medialer Abstumpfung oder Gewöhnungseffekte waren es nicht die Schilderungen der Haftumstände und Foltermethoden, die mich am stärksten lähmten, sondern zwei andere Fakten. Zum einen handelte es sich bei den Gebäuden des S-21 ursprünglich um eine Schule, also einen Ort, an dem Wissen und Bildung vermittelt wurden. Dieser Ort des Lernens wurde entfremdet und missbraucht als Ort, an dem Menschen jeden Alters mit Stromschlägen gequält, an ihren nach hinten gebundenen Armen aufgehängt und anschließend in Jauchefässer getunkt wurden.



Zum anderen lähmte mich die Schilderung, dass die Roten Khmer gezielt Kinder als Folterknechte einsetzten. Diese Kinder waren Berichten zufolge die grausamsten Wächter. Ihre Köpfe wurden wie Betriebssysteme mit bösartigen Inhalten infiziert, bis sie keine Tabus mehr kannten.

Die Hemmschwelle zur Folter liegt bei Menschen, die am eigenen Leib und an der eigenen Seele gequält wurden, niedriger als bei Menschen, die solche Erfahrungen nie machen mussten. Noch einfacher als ehemalige Opfer, deren Wertekatalog gelöscht wurde, lassen sich Kinder mit einem unbeschrieben Wertekatalog als Folterknechte missbrauchen.

Lernen und Bestätigung sind elementare Bedürfnisse von Kindern. Nicht nur in Kambodscha unter Pol Pot oder in afrikanischen Kriegsregionen wurden diese Bedürfnisse missbraucht. Und leider ist diese Art von Kindesmissbrauch keine Vergangenheit.
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Bilder, von oben:
Gefangene im S-21
Folterzelle
In ehemalige Schulräume gemauerte Einzelzellen
Hinweis, auf dem Gelände nicht zu lachen
Hauptgebäude des S-21


>> S-21