Donnerstag, Juli 29, 2010

Kühlschranklose Existenz

So ähnlich muss sich ein geächteter Gewaltverbrecher bei der Offenbarung seiner Taten vorkommen. Zeitgenossen starren dich an, als seien sie einer retardierten Kreatur begegnet, die absurde religiöse Rituale zelebriert und sich an Sümpfen aus geronnenem Blut ergötzt. Der Schock steht ihnen wie mit Eispickeln ins Gesicht gemeißelt. Selbst habilitierte Feingeister mit Intelligenzquotienten jenseits vierstelliger Sphären können es unter Bemühung ihres vieldimensionalen Vorstellungsvermögens nicht fassen, sobald ich beiläufig erwähne, dass ich keinen Kühlschrank besitze.

Geweitete Pupillen, unvermittelte Adrenalinschübe, plötzliche Lähmungen des vegetativen Nervensystems, geruchsintensive Schweißausbrüche sowie andere olfaktorische Behelligungen und mühevoll unterdrückte, spitze Schreie des Entsetzens gehören noch zu den gemäßigten Reaktionen. Kürzlich hätte eine Dame aufgrund dieses Geständnisses beinahe ihr Bewusstsein mitsamt Verstand verloren.

In der geordneten Welt unseres elektrischen Alltags scheint es wenig zu geben, womit sich die Gemüter massiver erregen lassen. Und dabei beruht das Fehlen eines Kühlschranks in meiner Wohneinheit nicht auf gezielter Absicht, langfristiger Planung oder asozialen Ambitionen. Nach irgendeinem Umzug, bei dem ich den letzten Kühlschrank aus irgendwelchen Gründen in jener alten Wohnung zurückgelassen hatte, ergab sich aus irgendwelchen anderen Gründen keine Gelegenheit, ein neues Gerät zu beschaffen.

An manchen Abenden verspürte ich den Hauch eines schlechten Gewissens, wenn ich mich in die Küche verirrte. Nach einer Weile wurde mir bewusst, dass dieses schlechte Gewissen nichts mit einem Bedarf an gekühlten Gurken und solchen Dingen zu tun hatte, sondern vielmehr mit dem Schuldgefühl beim Verstoß gegen eine Norm, die strikten Kühlschrankbesitz vorschreibt, wenn man sich zu den funktionierenden Mitgliedern unserer Zivilisationsgesellschaft zählen will.

Zu meinem Bedauern musste ich mir eingestehen, dass ich weder das kühlschranktypische Brummen vermisste, noch körperliche Mangelerscheinungen feststellen konnte. "ABER DAS BIER!" werden Leser, die mit den Gesetzen der Logik vertraut sind, nun entsetzt und lauthals rufen. Keine Sorge. Dafür gibt es Kiosk-Ali, und der verfügt über ausreichend Kühleinheiten, selbst bei dauerhaft tropischen Temperaturen ist die Flüssigverpflegung gesichert.

Neulich hätte ich mir trotzdem beinahe einen Kühlschrank gekauft, habe mich dann aber für eine Erstausgabe von Jean Pauls Kampaner Thal entschieden. Was erwarten Sie von einem, der sich täglich über dieses Weltwunder freut, dass man jederzeit den Wasserhahn aufdrehen kann und sofort fließendes, klares Trinkwasser sprudelt?

8 Comments:

Blogger mkh said...

Welche Ess- und Trinkgewohnheiten oder welche Einkaufsmöglichkeiten den Zwei- und Vierbeinern entsprechen, trägt immens zur individuellen Kühlschrankfrage bei. (Speisen auswärts/indoor, Milch-/Fleischprodukte...) Von daher kann ich mir den selbstauferlegten Kühlschrankverzicht unter manchen Umständen besser, unter anderen weniger vorstellen.

Allerdings ist eins dabei nicht zu unterschätzen: Kühlschränke sind hoch emotionalisierte Begleiter des Menschen. Selten wird es so deutlich wie in den poetischen Bevorratungen sensibler Künstlernaturen. Wie bei Stoppok etwa - "Mein Freund, der Kühlscdhrank" - oder die Toten Hosen - "Der Mond, der Kühlschrank und ich"...

Ob Jean Paul da mithalten kann?

2.8.10  
Blogger Frau H. said...

Schaffen Sie sich doch einen an und lagern darin Ihre T-Shirts...den müssen Sie dann auch nicht anmachen.
Und es sorgt in bestimmten Momenten bestimmt noch mehr für Verwirrung... :)

(Mein Kühlschrank - das günstigste Gerät mit Gefrierfach was einer dieser "Markenhersteller" zu bieten hatte - nennt sich übrigens "SportLine". Ein Umstand der mich bereits seit dem Kauf zutiefst verwirrt. Ich meine, welche Art Sport soll ich denn mit ihm machen? Zumindest den Umstand, dass er auch noch antibakteriell sein soll, konnte ich Dank der Zahnwunderheilmittelrecherche mittlerweile auf den Grund gehen, aber das mit dem Sport....???)

2.8.10  
Blogger Frau H. said...

Dem.

2.8.10  
Blogger 100 Goldfischli said...

Seltsam. Habe ich noch gar nicht untersucht, den Zusammenhang zwischen weißer Ware und gesellschaftlicher Stellung. Hätte angenommen, dass Kühlschrankbesitz bereits tief im Unterbewusstsein verankert ist, aber schon lange nicht mehr für Sozialprestige taugt, sagen wir seit ... 50 Jahren ...?

Meine Wohnung enthielt beim Einzug einen Kühlschrank ohne Tiefkühlfach. Vermisse ich bisweilen, weil es daher keine Eiswürfel für den Campari gibt. Und auch leider keine Eiswürfelexperimente. Gekocht wird hingegen frisch, so dass nix eingefroren werden müsste. Gemüse würde sich allerdings wohl auch an der frischen Luft eine Weile halten. Das ist vom intelligenten Design so vorgesehen. Fleisch kann man ja am Tag des Verbrauchs kaufen. Bier muss nicht kalt. Nein, wirklich nicht. Eeehrlich! Butter stelle ich mir unansehnlich vor, wenn die Tage 35°C erreichen.

Der Maklerin, fesche junge Blondine im Kostüm und Mini-Cabrio, fiel allerdings nicht mehr zum eislosen Kühlschrank ein als "Das kann nur ein Mann bestellt haben!" Aha.

Weitere Auskünfte auch hier.

2.8.10  
Blogger MudShark said...

du musst auch immer noch einen drauflegen! jetzt komme ich mir als glotzenverzichter richtig albern vor.

9.8.10  
Blogger mq said...

/mkh: Jean Paul kühlt (und wärmt) außer Konkurrenz. Mir fällt es viel schwerer, einen Zusammenhang zwischen den Toten Hosen und Poetik zu erkennen. Und nebenbei stellt sich noch die Frage, wie der Mensch die Zeit vor dem 20. Jahrhundert überleben konnte.

/Frau H.: Für weitere Verwirrung dürfte der Aufdruck 404 Shirt not found sorgen. Moment. Warum eigentlich "noch mehr Verwirrung"?

/100 Goldfischli: Eiswürfelexperimente? Das klingt spannend. Geht es etwa um das ungelöste Rätsel, bei welcher Temperatur Eis taut?

/MudShark: Das ist doch garnix. Ich habe schonmal einen getroffen, der hatte kein Motorrad!

12.8.10  
Blogger mkh said...

Jetzt muss doch noch richtig stellen, dass ich den Titel der Toten Hosen ergoogelt habe und die Jungs ebenfalls wenig mit Poetik in Verbindung bringen würde, anders bei Herrn Stoppok übrigens.

19. Jahrhundert im ländlichen Gebiet: mit gemauerten Kellern usw. Und bei Eisgang auf dem Neckar zum Beispiel holte man sich das Natureis blockweise zum Bierkühlen in die Häuser - endlich mal kalt genießen (und das ohne Kiosk-Ali)...

Aber: Wie jetzt? Einer ohne Motorrad?!? Glaub ich nicht.

12.8.10  
Anonymous Frau H. said...

Na ja, wenn schon der Umstand, dass Sie keinen Kühlschrank besitzen, bisweilen grob gesehen verwirrt, was meinen Sie dann, wie sehr der Umstand, dass Sie zwar einen Kühlschrank besitzen, diesen aber vollkommen abstrus zweckentfremden, verwirren könnte? (Ich gehe jetzt mal von anderen Situationen aus, als jener, in der die Dame fast in Ohnmacht und so...also privateren, sozusagen. Obwohl ich ja nicht weiß, wie privat die Situation war, aber da Sie so auf dem Schlauch stehen, gehe ich einfach mal davon aus, dass sie nicht so privat war..ach Schwafel, Schwafel, Schwafel...verzeihen Sie!)

12.8.10  

Kommentar veröffentlichen

<< Home