Samstag, Dezember 31, 2011

Freundschaft mit Fremden



Kein Teilnehmer sollte wissen, an welchem Ort er aufwachen würde. So lautete die einzige Spielregel.



Rückenschmerzen, als er die Augen aufschlug.



In der Nähe war ein Wasserbecken. Außer Pflanzen kein Leben, Steine wie von Riesenhand übereinander geschichtet.



Ein Fluss. Das Donnern in der Ferne passte nicht zum unschuldigen Blau des Himmels.



Immer wieder fand er von Menschen hinterlassene Zeichen.



Spuren längst untergegangener Zivilisationen.


 

Er wollte sich einen Überblick verschaffen.



In Stein gehauene Treppen erleichterten den Aufstieg.



Ein Land wie in Gullivers Reisen. Ein anderer Planet.



Zwei Tage folgte er einer Straße. Trotz bebauter Felder begegnete er niemand. Er begann, die Entscheidung zu bereuen.



War das Spiel schon verloren?


***

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Nachbemerkung
Die Geschichte war unter dem Titel Hampi bereits auf meiner ersten Website Mitte der Neunziger zu lesen.
Es gibt viele Orte, die mich beeindruckt haben. Im Grunde beeindruckt mich beinahe jeder Ort. Ich bin ein Liebhaber von Orten. Die Gegend um das indische Dorf Hampi, unter dem Namen > Vijayanagar einstmals Zentrum eines riesigen Reiches, hat die stärksten Eindrücke in mir hinterlassen. Nach jedem Besuch dieser Landschaft mit den bizarren Gesteinsformationen, weit verstreuten Tempelruinen und schillernden Eisvögeln am Fluß blieb ein anderes Gefühl.

Mittwoch, Dezember 21, 2011

Neo!?azi

Es ist nur eine Kleinigkeit. Ich wusste, dass der Webspace hinter neobazi.net nach dem Tod des Seebloggers und Freundes Opa Edi entsprechend seinem testamentarischen Wunsch längst leergeräumt war. Wie erwartet, hatte inzwischen ein Domaingrabber zugeschlagen und bietet die Adresse nun zum Kauf an. Als ich die URL kürzlich aus sentimentalen Gründen aufrief, prangte über dem werblichen Inhaltsbereich ein Header mit einem Foto von Kriegsgräbern. Auf den zweiten Blick fiel mir der Titel der Seite ins Auge:


Wenn man weiß, dass Edi sich mit vielen Beiträgen auf seinem Weblog gegen Rechtsextremismus engagiert hat, erscheint dieser Zusammenhang grotesk. Eine ehemals antifaschistische
Plattform wird als mögliche virtuelle Heimat für Neonazibratbirnen angepriesen. Wie die Whois-Abfrage ergibt, handelt es sich beim derzeitigen Domaininhaber um das amerikanische Unternehmen Domains by Proxy, Inc. aus Scottsdale, Arizona:

Registrant:
Domains by Proxy, Inc.

DomainsByProxy.com
15111 N. Hayden Rd., Ste 160, PMB 353
Scottsdale, Arizona 85260
United States

Registered through: GoDaddy.com, LLC (http://www.godaddy.com)
Domain Name: NEOBAZI.NET
Created on: 11-Mar-10
Expires on: 11-Mar-12
Last Updated on: 02-Jul-11

Administrative Contact:
Private, Registration NEOBAZI.NET [ät] domainsbyproxy [dotcom]
(Anm.: E-Mailadresse wg. Spyders von mq bearbeitet)
Domains by Proxy, Inc.
DomainsByProxy.com
15111 N. Hayden Rd., Ste 160, PMB 353
Scottsdale, Arizona 85260
United States
(480) 624-2599 Fax -- (480) 624-2598

Technical Contact:
Private, Registration NEOBAZI.NET [ät] domainsbyproxy [dotcom]
(Anm.:
E-Mailadresse wg. Spyders von mq bearbeitet)
Domains by Proxy, Inc.
DomainsByProxy.com
15111 N. Hayden Rd., Ste 160, PMB 353
Scottsdale, Arizona 85260
United States
(480) 624-2599 Fax -- (480) 624-2598

...
in der Privacy Policy unter neobazi.net (Seitenende) wird eine weitere Firma genannt:

NA Media Programs
Box 10518 A.P.O.
Grand Cayman, Cayman Islands.
KY1-1005

Beim Gedanken, einen Brief an das genannte Postfach auf den Cayman Islands zu schicken, bricht vermutlich jedes vernunftbegabte Lebewesen in schallendes Gelächter aus. Auch wenn die Aussichten auf eine Antwort gering erscheinen, habe ich u.s. E-Mail über das >Support-Formular des Inhabers Domains by Proxy sowie an die Adresse
NEOBAZI.NET [ät] domainsbyproxy [dotcom] gesendet. 

Für mich ist es keine Kleinigkeit. 
Obwohl in den USA sogar Internetkloaken wie americannaziparty [dotcom] toleriert werden.

--
E-Mail an
Domains by Proxy:

Dear ladies and gentlemen,

I recently discovered that you offer the domain neobazi.net for sale. Edi Henn, the former owner aka Opa Edi, has died three years ago and should have no further interest in maintaining a website. But I do not consider it appropriate that the title of the dummy homepage you put on neobazi.net is saying 'Neobazi.net - The Leading Neo Nazi Site on the Net.'

In the German blogger community, Opa Edi was well known as an Anti-Fascist. The name he had chosen for his weblog has absolutely nothing to do with any Neo Nazi activities or attitude. 'Bazi' is the Bavarian word for a grumpy person, and as Edi had a strong sense of humour, he used the artificial expression 'Neobazi' in a satirical way.

I have thought about buying the domain to delete this nonsense title content myself but that would appear to me like picking over the bones. On the other hand, the title might be just an automatically generated mistake (?)

Quite a few people over here in Germany would highly appreciate if you kindly change this particular title - as fascism is not an opinion, but a crime against humanity. This change would be a little piece of work for you but a great symbol of American tolerance.

Please find this letter and an article (German) about the issue on my weblog: http://frischerfischvonvorgestern.de

I am looking forward to hearing from you soon.

With best regards from Frankfurt, Germany,
Markus Quint
--

Freitag, Dezember 16, 2011

In die Neue Welt

"Il y a un autre monde mais il est dans celui-ci." (Paul Éluard)

Düsternis hatte sich am tonnenschweren Firmament verdichtet, und das graue Licht verlangsamte jede Bewegung. Irgendwann würden die Wolken wie bröckelnder Zement zerfallen und alles unter sich begraben. Beim Gang durch die ausgestorbenen Gassen bewegte R sich in Richtung seiner innersten Stadt. Dabei verlor R die Erinnerung an vertraute Adressen. Noch war alles bekannt: der Müll in jeder Tonne und die Abfahrtzeiten an den Haltestellen seines geistigen Nahverkehrs. Kaltes Blut pulsierte im Rhythmus der Einsamkeit.

R war auf der Suche nach einer Grenze, die noch nicht überschritten war. Aus dem Gewirr zog es ihn in die Weite. Irgendwo dahinter musste sich die Neue Welt befinden, ein unerkundeter Kontinent. Und R war sich seiner Schwäche gewahr, zwanghaft vermaß und kartografierte R die fremden Landschaften. Exotik wich der gefräßigen Eintönigkeit, Ernüchterung folgte auf Erregung.

Das Ende der Straße schien in einen blauen Himmel zu führen. R wechselte die Welten. Aber es blieb derselbe Planet.

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Montag, Dezember 12, 2011

Der Geist

Das Klima war in höchstem Maß abweisend. Seine Schutzhülle hatte sich angepasst und eine unauffällige Gestalt angenommen, so dass er wie einer von ihnen aussah. Er spürte die feindliche Hitze durch die Membran. Besiedlungsversuche waren ausgeschlossen, obwohl es einfach gewesen wäre, die heimischen Lebensformen zu unterwerfen. Oder auszurotten.

Der Anordnung von Zone Zero war er nur gefolgt, weil er sich nach der Auseinandersetzung im vorletzten Sonnensystem keine weitere Verwarnung leisten konnte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er, den Messdaten entsprechend, auf eine Erkundung verzichtet. Jetzt stapfte er lustlos zwischen den gespenstischen Bewohnern dieses Planeten umher und wünschte sich zurück in die schwarze Kälte des Weltalls.

Im selben Moment, als der Blick des Wesens seinen Schutzanzug durchbohrte, wusste er, dass alles zu spät war. Die Hitze fraß ihn auf.

- Mama, ich habe gerade einen Geist gesehen, sagte das kleine Mädchen mit dem Lebkuchenherz.
- Wie kommst du denn auf sowas?
Die Frau wollte ihre Tochter weiterziehen durch die Holzbudenhektik des Weihnachtsmarkts.
- Der Mann ist plötzlich verschwunden, als ich ihn angesehen habe, und dann habe ich einen eisigen Hauch auf meinem Gesicht gespürt.
- Das ist der Winter, mein Schatz.

Für einen winzigen Moment hatte die Schutzhülle im Schnee bläulich geglüht, dann war auch sie verschwunden.

Dienstag, Dezember 06, 2011

Alphabet der Aufzugskonversation

Der fabelhafte Tomi Ungerer hat sich in den 1960er Jahren laut eigenen Angaben damit vergnügt, in New Yorker Fahrstühlen ein tragbares Tonbandgerät mitzuführen; damit spielte der Illustrator obszöne Geräusche ab, die er zuvor während nächtlicher Rendezvous aufgezeichnet hatte. Wenn man sich hierzu Ungerers breites Grinsen vorstellt, handelt es sich zweifellos um den Königsweg zur Überbrückung des peinlichen Fahrstuhlschweigens. Zeitgenossen, die über einen geringer ausgeprägten Grad von Exzentrik verfügen, bietet das nachstehende Alphabet der Aufzugskonversation ein Themenspektrum.

A
"Alles klar?" (Beknackte Worthülse und perfekte Vorlage für eine mindestens ebenso beknackte Reaktion. Vgl. Varianten N u. U.)

B
Bundesliga. (Funktioniert gut montags und bei mehrheitlich männlichen Fahrgästen.)

C
Computer. (Hasst jeder. Liebt jeder. Das wichtigtuerisch aufgeklappte Notebook in der Armbeuge unterstützt beim Gesprächseinstieg. Oder auch nicht.)

D
Dichtung. (Die leidenschaftliche Rezitation einer Variante von Goethes "Ein Gleiches" funktioniert sogar zwischen zwei Stockwerken:

Über allen Etagen
Ist Ruh,
In allen Fluren
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Akten liegen auf Halde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Kann in der Vertonung von Franz Schubert auch gähnend vorgetragen werden.)

E
Erkältung. (Thema durch spastischen Niesanfall einleiten.)

F
Fußball. (Diese weiter gefasste Variante von B eignet sich besonders nach Länderspielen, weil dann sowieso jeder Narr glaubt, einen wirren Wortbeitrag abliefern zu müssen.)

G
Geruch. (Thema unbedingt vermeiden, wenn es in der Aufzugskabine nach Alkohol riecht. Eignet sich hingegen gut, wenn Ihnen versehentlich Winde entweichen.)

H
Hackfleisch. (Vgl. M.)

I
Isolationshaft. (Vgl. M.)

J
Juckreiz. (Ausdrucksstarkes Kratzen im - eigenen! - Genitalbereich unterstützt eine Wahrung der persönlichen Distanz.)

K
Kaffee. (Besteigen Sie den Fahrstuhl mit einem Becher dampfenden Kaffee in der Hand, schlürfen Sie kleine Schlückchen und lassen Sie dabei Genusslaute vernehmen. Betonen Sie immer wieder, wie hervorragend dieser Kaffee schmeckt und wechseln Sie dann das Thema zu David Lynch.)

L
Lächeln. (Sie.)

M
Mechanik. (Stellen Sie die Funktionstüchtigkeit das Fahrstuhls auf perfide Art in Frage. Funktioniert gut bei mehrheitlich weiblichen Fahrgästen.)

N
"Na? Alles klar?" (Variante von A für Hyperaktive.)

O
Onomatopöie. (Phonetische Grundlagen eignen Sie sich mittels entsprechender Fachliteratur aus dem Comicladen an, darf in den Aufzug mitgenommen und murmelnd vorgetragen werden.)

P
Politik. (Unbedingt vermeiden. Es sei denn, Sie sind Politiker. Dann können Sie sowieso über nichts anderes sprechen.)

Q
Sprechen Sie über den Betreiber dieses Weblogs, sofern Sie sich von tosenden Begeisterungsstürmen nicht überfordert fühlen. (Quatsch.)

R
Rülpsen. (Gibt den Mitfahrenden das wohlige Gefühl, ein Fehlverhalten großzügig überhören und verzeihen zu können, sorgt im Anschluss für niederschwelligen Bürogesprächsstoff.)

S
"So, so." (Erhält auf jeder Bratbirnenolympiade die Goldmedaille für sinnbefreites Geschwätz, nur durch ein "Sooooo" mit pervertierter Betonung des Vokals zu übertreffen. Der Absender besitzt mit hoher Wahrscheinlichkeit psychopathische Neigungen. Notruftaste im Auge behalten.)

T
Tuberkulose. (Wirksame Waffe gegen peinliches Fahrstuhlschweigen, weil im nächsten Stockwerk alle aussteigen.)

U
"Und? Alles klar?" (Geschwätzige Variante von N.)

V
Verstopfung. (Jeder interessiert sich für Ihren aktuellen Verdauungsstatus. Ggf. kombinierbar mit G.)

W
Wetter. (Gibt es immer, funktioniert immer, genau wie Wochenende.)

X
Wenn Sie an dieser Stelle etwas anderes erwarten als den Vorschlag, auf einem Xylophon herumzuklimpern, bin ich gespannt auf x-beliebige Vorschläge.

Y
Yacht. (Simulieren Sie lautstark ein Handytelefonat mit "Ihrem" Skipper auf Curaçao.)

Z
Zauberei. (Mit kleinen Taschenspielertricks gewinnen Sie Freunde fürs Leben. Fortgeschrittene lassen die anderen Fahrgäste einfach verschwinden.)